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Ein Nachmittag mit Opa Dröge

Wie alle Bewohner des Städtchens, in dem ich lebte, nannte ich Herrn Dröge Opa Dröge. Opa Dröge war schon immer und immer schon da. In seiner Schreinerei, die er seit dem Tod seiner Frau nicht verlassen hatte, von morgens bis abends bei der Arbeit, oder aber in dem kleinen Raum, der an die Werkstatt angrenzte. Hier gab es Toilette und Waschbecken, ein Bett, einen Herd, zahlreiche Konservenbüchsen, Pulverkaffee und H-Milch. Die Lehrlinge brachten alle Lebensmittel mit, die Opa Dröge wünschte, sie wogen nicht schwer. Opa Dröge aß wie ein Spatz und trank wie ein Vögelchen.

Ich kam mit dem Bulli, parkte auf dem Hof vor der Werkstatt, klopfte nur der Form halber an die Tür. Opa Dröge konnte schon lange nicht mehr gut hören. Seine Schreinerei stand jedem jederzeit offen, ich trat ein.

Es war Sonntag, die Maschinen schwiegen. Wie von der Zeit vergessen, lag das Innere der Werkstatt unter einer dichten Schicht aus Staub. Sie verlieh den Dingen im Raum ein gepudertes Aussehen, glich sie einander an. Ich erschrak, als ein Turm aus Staub sich zu mir umdrehte. Opa Dröge schlurfte mir in seinen Holzpantinen entgegen.

Er reichte mir seine Hand, die knorrig war. Welk. Ledrig. Rau. Wie borkige Rinde. Opa Dröge, sagte ich, kommen Sie und zog ihn an der Hand zur Tür. Nach draußen, wehrte sich Opa Dröge, wozu. Ich zeigte auf mein Auto. Wir fahren zu mir, bestimmte ich. Ich möchte mich für den Tisch, den Sie gefertigt haben, bedanken. Die Kaffeetafel ist gedeckt.

Opa Dröge stand im Türrahmen seiner Werkstatt, blinzelte. Er hielt sich zum Schutz gegen die Sonne eine Hand vor die Augen, sagte aber. Aber, unterbrach ich ihn, Opa Dröge, ich wohne am Wald. Dröge sah mich an. Am Wald also, nickte er und trat ins Freie.

Ich fuhr langsam. Opa Dröge saß unsicher im Auto, spähte vorsichtig nach draußen. Für ihn war es schließlich der erste Ausflug seit Jahren. Warm, bemerkte er nach einiger Zeit und kurbelte mutig sein Fenster herunter, ich atmete auf. Opa Dröge roch wie Stockfisch, süßlich und muffig, Opa Dröge roch wie ein ungewaschener, alter Mann.

Ich öffnete das Gartentor, der Tisch stand auf der kleinen Wiese unter den Bäumen, Opa Dröge nahm Platz. Er pickte den Kuchen, als wäre er ein Vogeljunges, als wäre er ein Küken, schlürfte seinen Kaffee Schlückchen für Schlückchen und sah in die Baumkronen, wo das Licht mit den Blättern spielte.

Ahorn, sehr zäh, Birke, elastisch, Birnbaum, empfindlich, Erle, fast weich, erklärte er verträumt. Die Natur hat ihre eigene Poesie, an diesem Ort gibt es Buchen. Man kann sie zur Wetterprognose nutzen. Wer im November seine Axt in den Stamm einer Buche schlägt und die Wunde bleibt trocken, muss mit einem strengen Winter rechnen, erzählte Opa Dröge und kratzte sich ausgiebig. Ein wenig Holzstaub verteilte sich daraufhin im Garten, wir sprachen nicht mehr viel.

Den Rest des Nachmittags saß Opa Dröge still unter den Bäumen, mit ihrem Schatten verschmolzen, als gehöre er hierhin.

Ja, sagte er, als ich ihn zurückbrachte. Ja, sagte er am Eingang zu seiner Werkstatt.

Ich drückte zum Abschied seine Hand, die mir irgendwie weicher, glatter geworden zu sein schien, als hätte sie sich der Rinde einer Buche angenähert. Vielleicht hatte ich mich aber auch nur an Opa Dröges Hand gewöhnt.

Am Rand der Erinnerungen Cover

Am Rand der Erinnerungen -
Geschichten über Menschen mit Geschichte
von Frauke Tuttlies

108 Seiten
ISBN 978-3-935259-66-8
Format 13 x 21cm
14,90 €

erschienen im worthandel : verlag
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